Vermarktung des guten Gewissens - Die Wochenschau
Die Kritik an den Grünen reißt nicht ab. Sie werden der Doppelmoral bezichtigt. Markus Söder bleibt der „Sonnenkönig“ der CSU. Und der ESC betreibt Vermarktung des guten Gewissens.
Der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump wurde von einem New Yorker Zivilgericht des sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen. Die Autorin E. Jean Carrol hatte ihn verklagt und soll nun 5 Millionen Dollar Schadensersatz wegen Verleumdung und Körperverletzung erhalten.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat abermals angemahnt, das Tempo bei Gesetzgebungsverfahren nicht zu sehr auszureizen. „Es entsteht der Eindruck, dass sich der Pandemie-Rhythmus etabliert und verkürzte Verfahren sowie Last-Minute-Entwürfe bei den Gesetzgebungsverfahren zum Normalfall werden“, sagte Bas der F.A.Z.
Durch ein neues Gesetz soll das Kartellamt die Möglichkeit bekommen, Monopolisten zu „entflechten“, sie also zur Abgabe von Eigentumswerten zu zwingen. Bisher ist es in Deutschland nur möglich, Monopole zu verhindern, indem Fusionen untersagt werden.
Deutschland
Letztens wurde in Berlin Kai Wegner im dritten Wahlgang zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt. KATHARINA KÖRTING attestierte letzte Woche für Der Freitag der Opposition ein „sanierungsbedürftiges“ Demokratieverständnis. Die Opposition hatte sich empört gezeigt, weil Wegner angeblich mit AfD-Stimmen gewählt worden sei. Die AfD hatte nach dem dritten Wahlgang behauptet, dass Wegners Wahlsieg nur durch einige ihrer Stimmen möglich gewesen wäre. Sicher sei dies keineswegs, und nachweisen ließe sich das auch nicht, schließlich sei die Wahl, glücklicherweise üblich in Deutschland, eine geheime gewesen. Trotzdem „springt Ricarda Lang als Erste artig übers AfD-Stöckchen. ‚Die SPD und die CDU in Berlin haben der Stadt, der Demokratie und der politischen Kultur heute großen Schaden zugefügt‘, tönt sie auf Twitter – nicht etwa durch politische Entscheidungen, sondern ‚indem sie ohne sichere Mehrheit in den dritten Wahlgang gegangen sind‘. – Skandal! In einer Demokratie gibt es eine Abstimmung, deren Ergebnis nicht vorher feststeht!“
Großes Tohuwabohu erregte schon letzte und auch wieder diese Woche Vorwürfe der Vetternwirtschaft im grünen Bundeswirtschaftsministerium. Patrick Graichen, Staatssekretär in Habecks Ministerium, war an einem Auswahlverfahren für den Chefposten eines Staatsunternehmens beteiligt. Erst einmal nichts Verbotenes. Allerdings hatte er nicht kenntlich gemacht, dass der gehandelte Kandidat sein Trauzeuge war. Für ALEXANDER NEUBACHER im Spiegel ist der Fall glasklar: „Der grüne Wirtschaftsminister muss seinen Staatssekretär entlassen und in seinem Haus aufräumen. Sonst riskiert er die Energiewende und sein Amt.“ Warum? Graichen als Spitzenbeamter hätte seinen alten Freund und Trauzeugen zum Chef eines Staatsunternehmens befördern wollen und das, ohne seine Befangenheit transparent zu machen. Da keine Einsicht zu zeigen, wäre ein Fall von grüner Doppelmoral: „Die Frage steht im Raum, warum der Minister gern moralisiert, im eigenen Haus jedoch die Sitten verlottern lässt.“
Markus Söder wurde auf dem CSU-Parteitag abermals bestätigt. GEORG ANASTASIADIS kommentiert für den Merkur den Parteitag und witzelt über „Monarchie“ ähnliche Verhältnisse. Auf das einstimmige Wahlergebnis von 100 Prozent für Söder sei selbst Chinas Diktator Xi neidisch. Doch dieser Trend sei nicht ungefährlich: „Dass sich eine zunehmend lethargische CSU zu sehr auf ihren 100-Prozent-Mann verlässt und vergisst, dass eine lebendige Regierungspartei mehr sein muss als ein Abnickverein, ist das Lebensrisiko der Söder-CSU.“
Bund und Länder haben sich vorerst über die Kostenverteilung in Bezug auf die Migrationspolitik verständigt. Politik mit Substanz sei aber Fehlanzeige, ärgert sich CONSTANZE VON BULLION in der SZ. Sei sie doch eine „der wichtigsten und schwierigsten Zukunftsaufgaben“ für Deutschland, die Migrationspolitik. Und trotzdem würde sich die Bundesregierung weiterhin nur „durchmogeln“, anstatt einen Plan zu entwerfen. „Die Einwanderung nach Deutschland muss stärker gesteuert werden, damit sie Akzeptanz findet. Härten schließt das nicht aus. Ohne Abschiebungen und Leid wird es nicht gehen. Aber bei der Rechtsstaatlichkeit darf es keine Kompromisse geben.“ Zur Verantwortung der Regierung gehöre es auch, unmissverständlich klarzustellen, was viele nicht würden hören wollen: „Asylbewerber werden weiter kommen, in großer Zahl und nicht nur die gewünschten. Sie müssen besser ausgebildet werden als bisher. Das wird teuer, auch mal schwierig, aber sie werden gebraucht. Das Deutschland von gestern kommt nicht zurück.“
Wirtschaft
Habecks Heizungsgesetz ist „starr und unrealistisch“, ist CHRISTIAN GRIMM in der Augsburger-Allgemeineüberzeugt. „Der Grünen-Politiker hat die Folgen seiner Entscheidung unterschätzt […]. Zwar will er den Kauf einer Wärmepumpe üppig fördern, aber im Gebäudebestand macht sie nur Sinn, wenn Dach und Fassade gedämmt sind und die Fenster modern. Das ist bei Millionen Häusern nicht der Fall. Bei Ein- oder Zweifamilienhäusern kostet das mehrere zehntausend Euro.“ Doch das könnten sich nicht alle leisten. Bei denen ginge bald die Angst um, ob sich das Eigenheim weiterhin unterhalten lasse. Alles wegsubventionieren kann man ja auch nicht. „Sein Heizungsgesetz ist ein Vorbote für die harten Konflikte, die der deutschen Gesellschaft beim rasend schnellen Umbau auf klimafreundlich bevorstehen. Der von der Politik verordnete Wandel stößt dann rasch an seine Grenzen und provoziert entschiedenen Widerstand.“
Seitdem der Ukrainekrieg schonungslos offengelegt hat, wie sehr Deutschland durch wirtschaftliche Abhängigkeiten angreifbar ist, wird viel über eine weiteres, vielleicht noch viel größeres Abhängigkeitsverhältnis diskutiert: das von China. MAX HAEGLER bezweifelt in der ZEIT keineswegs, dass es eines gäbe. Aber er macht darauf aufmerksam, dass das Abhängigkeitsverhältnis je nach dem auch in der anderen Richtung verlaufen kann. Dies wäre zum Beispiel bei Halbleitern so, den „Schrittmachern aller Zukunft“. Computerchips beziehe China zu zwei Dritteln aus dem Westen oder aus Taiwan. „Die Design-Software für Chips der wichtigsten Sparte können weltweit nur vier Unternehmen liefern. Drei stammen aus den USA, eines ist Siemens. Fürs Verwandeln dieser Designs in reale Chips braucht man Maschinen, und da gibt es in der allerbesten Kategorie nur einen einzigen Anbieter: den niederländischen ASML-Konzern, dessen Verkauf nach China jüngst die niederländische Regierung untersagt hat.“
Geschichte
Am 10. Mai jährten sich die Bücherverbrennungen auf dem damaligen „Opernplatz“, heute der Bebelplatz neben der juristischen Fakultät der HU. SUSANNE MESSMER offenbart in der taz ein nicht ganz so bekanntes Detail der Geschichte: Vor allem die Studierenden wären in Berlin eifrige Treiber der Bücherverbrennung gewesen. „Die Deutsche Studentenschaft verstand sich – ‚inspiriert vom Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Geschäftsleute‘ – als eine Art geistige SA und organisierte mit großem Eifer und aufwendigem bürokratischem Formalismus die Kampagne unter dem Titel ‚Aktion wider den undeutschen Geist‘.“ MESSMER verweist anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung auf die Ausstellung „Wer weiterliest, wird erschossen“ im Foyer der Fakultät vom 16. Juni bis zum 15. Juli.
Ausland
In wenigen Tagen, am 14. Mai, sind in der Türkei Präsidentschaftswahlen. Es scheint nicht mehr übertrieben zu behaupten, dass diese eine Schicksalswahl für die türkische Bevölkerung darstellen könnte. Ganz unabhängig davon, aus welcher politischen Richtung man blickt. Neben der Spannung nimmt auch die Radikalität immer mehr zu. Yetkin Report berichtet, dass der Innenminister Süleyman Soylu die kommenden Wahlen als „politischer Putsch“ bezeichnet hätte. „[…] Die Wahlen, die die legitimste Grundlage der Demokratie darstellen, als Staatsstreich zu bezeichnen, ist eine weitere Stufe der Verdunkelung. Denn mit dieser höchst antidemokratischen Sichtweise kann man auch alle, die nicht für Präsident Tayyip Erdoğan eintreten, also mindestens die Hälfte der Bevölkerung, als Putschisten bezeichnen“, meint MURAT YETKIN.
WOLFGANG HÜBNER kommentiert für ND Aktuell Russlands Feiertag am 9. Mai. Russlands Angriffskrieg wird zwar verurteilt, aber dann kommt doch noch der Westen-Hass (oder wahrscheinlich eher Anti-Amerikanismus) durch. „Von einer faschistischen Führung der Ukraine, die man beseitigen müsse, ist kaum noch die Rede; inzwischen sieht sich Russland in der globalen Auseinandersetzung mit ‚dem Westen‘. Wie immer ist neben der hohlen Rechtfertigungsrhetorik etwas Wahres dran: Am Konflikt in der Ostukraine, der schon seit 2014 auch als Krieg ausgetragen wurde, haben viele ihre Aktie, nicht zuletzt ‚der Westen‘ mit seinen Interessen in der Region. Aber das ist kein Grund, das Nachbarland zu überfallen. Um Russland zu retten, müssen Kiew und Odessa bombardiert werden, weitab der Frontlinie? Wer’s glaubt, wird nicht selig. Beide Seiten rüsten militärisch und propagandistisch auf, setzen einander mit dem Hitler-Faschismus gleich.“
In Nahost fliegen wieder die Raketen. Es scheint ein ausweglos festgefahrener Konflikt des Hasses. Leidtragend sowohl in Israel als auch in Gaza sei die Bevölkerung. Deswegen müssten die politischen Akteure endlich „über ihren Schatten springen“, findet JUDITH POPPE in der taz. Beide Seiten würden die immer neuen Runden an Gewalt stetig als Erfolg verkaufen. In Wirklichkeit sei es aber immer nur „eine weitere, sinnlose Eskalation im Nahostkonflikt“. Doch Israel könnte, anstatt die „Situation mit militärischen Aktionen weiter zu zementieren“ eine mutigere Variante wählen: „Sich an einen Verhandlungstisch mit der Hamas setzen. Mit der Organisation also, die den Gazastreifen kontrolliert und daher auch mitverantwortlich ist für die Raketen des Islamischen Dschihads. […] Frieden schließt man nun einmal nicht mit Freunden, sondern mit seinen Feinden.“
Europa
Diesen Samstag findet wieder der Eurovision Song Contest statt. Ein mit jedem Jahr größer aufgebauschtes Superereignis der Unterhaltungsindustrie. Immerhin kommt dafür zumindest einmal unabhängig von der Politik ganz Europa zusammen. Oder doch nicht so unpolitisch, wie es der ESC ansehen lassen möchte? DORIS AKRAP findet in der taz die Entscheidung des ESC, dass der ukrainische Präsident kein Grußwort halten darf, sei der ESC doch unpolitisch, irgendwie „absurd“. Unabhängig davon, dass der ESC schon im falschen Land stattfände – hatte doch eigentlich eine ukrainische Band im vergangenen Jahr gewonnen und somit das nächste Gastgeberland bestimmt –, sei die Begründung auch sonst nicht haltbar. „Es stellt sich die Frage, welche unpolitische Aussage der ESC eigentlich tätigen will, indem er seine Moderatorinnen in blau-gelbe Kostüme steckt, sein Herzmotiv blau-gelb färbt? Unfreiwillig enthüllt der ESC, was sowieso schon lange kritisiert wird: dass hinter der Geste, alles mögliche in blau-gelbe Farbe zu tunken, vor allem eines ist: die Vermarktung des guten Gewissens.“
Zum Schluss
Diese Woche mal wieder eine Film-Empfehlung. „Das Lehrerzimmer“ von İlker Çatak läuft momentan in den Kinos und zeigt, dass „Deutscher Film“ auch anders kann. Die junge und überengagierte Lehrerin Carla Nowak ist neu an einer Schule. Als sich Fälle von Diebstahl häufen und sie den „Ermittlungsmethoden“ des Kollegiums pädagogisch und ethisch nicht mehr folgen möchte, fängt sie an, eigene Nachforschungen anzustellen. Dabei gerät sie in ein Dilemma, an dem sie mit ihren hohen Ansprüchen zu zerbrechen droht. Der Film schafft es fast die gesamte Zeit, eine Atmosphäre der Spannung aufrechtzuerhalten. Die Geschichte ist lebendig und mitten aus dem Leben erzählt. Dass man beim Zuschauen so sehr mitfühlt, liegt aber vor allem auch an der außergewöhnlichen Leistung der Schauspielerin Leonie Benesch in der Rolle der Carla Nowak. Immer wieder kommen Szenen, in denen man das Gefühl bekommt, dass Benesch die Figur der Lehrerin nicht spielt, sondern wirklich Carla Nowak ist. Denn jede Mimik und noch so kleine Geste sitzt perfekt. Also ein alles in allem außergewöhnlicher Film, der aus der meistens öden deutschen Filmlandschaft hervorsticht? Noch während den ersten zwei Drittel des Films war ich fest davon überzeugt, einen solchen Film vor mir zu haben. Doch dann, ganz plötzlich, endete der Film. Der Spannungsbogen wurde nicht aufgelöst und auch die sich immer stärker aufdrängenden Fragen der Geschehnisse wurden nicht beantwortet. Vielleicht war das der Versuch, das Ende allen selbst zu überlassen. Leider ist das dann so kurz vor dem Ziel doch noch etwas schiefgegangen. Trotzdem hat es gestern Abend für den Deutschen Filmpreis gereicht.