Trump, Putin und das Ende der europäischen Sicherheit
Trump stellt sich auf die Seite Putins, die USA könnten der NATO den Rücken kehren – und Europa? Steht plötzlich allein gegen eine Bedrohung, die längst nicht bei der Ukraine Halt machen wird.

Putins Spiel, Trumps Beifall
In den letzten Tagen laß man, wie Trump behauptet, dass Selenskyj ein Diktator sei und den Krieg mit Russland gar nicht erst hätte beginnen dürfen. Man weiß nicht, was schlimmer ist: die Täter-Opfer-Umkehr oder die Übernahme der russischen Propaganda, die Selenskyj als illegitimen Präsidenten, ja sogar als Diktator der Ukraine darstellt.
Was zunächst nur wie eine für Trump typische verbale Entgleisung erscheinen mag, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als das absolute Worst-Case-Szenario für die europäische – und damit auch die deutsche – Sicherheitsarchitektur seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Denn Trump scheint sich nicht nur innerhalb weniger Telefonate von Putin dermaßen einlullen lassen zu haben, dass er kurzerhand (zumindest verbal) die Seiten gewechselt hat. Auch sonst ergibt sich für die antiliberale Rechte neuerdings ein sehr viel schlüssigeres Bild: Auf der einen Seite steht die Ukraine, die für genau das kämpft, was das liberale und freie Europa der Nachkriegszeit ausmacht. Auf der anderen Seite ein autokratisches Regime mit einem Herrscher, mit dem Trump im Geiste vereint ist – in der Überzeugung, dass es eines „starken Mannes“ an der Spitze eines Landes bedarf. Jemanden, der notfalls auch ohne Regeln durchregieren kann, der eine Weltordnung der Stärke etablieren möchte, anstatt eine auf Regeln basierende Ordnung zu akzeptieren. Jemanden, der Kompromisse und Kooperation als Schwäche betrachtet. Trump und seine Gefolgsleute stehen Putin somit deutlich näher als dem liberalen, rechtsstaatlichen Europa.
Putins wahrer Feind: Demokratie, nicht die NATO
Politisch wäre das vielleicht noch irgendwie zu verkraften – würde es nicht das gesamte geopolitische Gleichgewicht zu Ungunsten unserer Sicherheit verändern. Denn nun heißt es nicht mehr: NATO gegen Russland. Jetzt steht Autokratie gegen ein freies und demokratisches Europa. Für Putin war das schon immer die eigentliche Auseinandersetzung. Doch jetzt, mit dem potenziellen Wegfall des amerikanischen NATO-Schutzes, tritt sie unübersehbar zutage.
Putin behauptete zwar stets, in der Ukraine ginge es um das berechtigte Interesse Russlands, Sicherheitsgarantien gegen die „NATO-Bedrohung“ zu erhalten. Doch in Wahrheit ging es Putin nie um die NATO selbst – schließlich gibt es seit Ende des Kalten Kriegs keinen einzigen Fall, in dem die NATO für Russland eine reale direkte Angriffsgefahr dargestellt hätte. Nein, ihm ging es immer darum, das zu bekämpfen, was durch die NATO geschützt wird: eine demokratische, freie und rechtsstaatliche bzw. regelbasierte Welt – insbesondere in Europa.
Sollte die NATO nun zerfallen oder zumindest die amerikanische und damit relevanteste Militärstärke verlieren, könnte Putin seinen begonnenen Krieg der vermeintlichen NATO-Argumentation folgend eigentlich einstellen – schließlich wäre die angebliche „NATO-Bedrohung“ gebannt. Doch genau das wird er nicht tun. Im Gegenteil: Mit dem günstigen Rückenwind wird er erst recht weitermache, da sein eigentlicher Gegner ja nie die NATO selbst war, sondern all das, was in ihrem Schutz in den letzten 30 Jahren immer näher an seine Haustür gerückt ist und ihn am meisten im eigenen Land bedrohen würde: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Freiheit.
Zeitenwende reicht nicht: Europas Sicherheit braucht einen Neustart
Der amerikanische NATO-Schutz ist mittlerweile zumindest ungewiss, und gleichzeitig wird Putin selbst nach einem Diktatfrieden in der Ukraine wohl eher weitermachen, statt dort Halt zu machen. Was folgt daraus?
Es ist eine grundlegende Veränderung der deutschen und europäischen Verteidigungspolitik erforderlich. Und dabei geht es nicht einfach um eine „Zeitenwende 2.0“ oder darum, der Ukraine mantraartig unsere Solidarität zuzusichern. Was wir jetzt brauchen, ist konsequente Aufrüstung und glaubwürdige Abschreckung. Wenn es schon keine EU-Armee geben wird, dann bedarf es zumindest eines europäischen Militärbündnisses. Ebenso unausweichlich ist zumindest die ernsthafte Diskussion – und zwangsweise eigentlich auch die konkrete Umsetzung – eines europäischen atomaren Abwehrschirms, der unter Einbeziehung Deutschlands auf den bestehenden nuklearen Kapazitäten Frankreichs und Großbritanniens aufbaut. Alle EU-Länder müssen mindestens das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Die von Verteidigungsminister Pistorius geforderte „Kriegstüchtigkeit“ muss nicht nur ein Schlagwort bleiben, sondern so schnell wie möglich Realität werden.
Nun werden sich bei diesen Sätzen sicher bei einigen die Nackenhaare aufstellen – das ist nachvollziehbar. Doch seien wir ehrlich: Was ist die Alternative? Keine Angst vor Putins Neoimperialismus kann nur haben, wer dessen Herrschaftsmodell insgeheim herbeisehnt. Darauf zu vertrauen, dass Putin von selbst aufhören wird, ist nach allem, was wir wissen, eine Illusion. Und darauf zu hoffen, dass es mit den USA – selbst unter einer Trump-Administration – schon nicht so schlimm kommen wird und sie in der NATO bleiben, ist ein gefährliches Wunschdenken. Wollen wir uns wirklich weiterhin einfach so darauf verlassen?