Nicht nur ein Patzer – Das Richterwahl-Desaster fordert Konsequenzen
Die gescheiterte BVerfG-Richterwahl ist vor allem ein Desaster für die Koalition. Das lässt sich zwar beheben, erfordert jedoch Mut und Bescheidenheit.

Die teils existenziell anmutenden Ausführungen rund um die gescheiterte Wahl dreier neuer Bundesverfassungsrichterinnen sind sicherlich übertrieben. Doch als einfache Lappalie sollte man das Geschehen auch nicht abtun. Schließlich ist es bereits das zweite Mal, dass eine Wahl im Plenum von CDU und SPD nicht im ersten Anlauf über die Bühne gebracht werden konnte. So etwas kann schon mal vorkommen in einem lebhaften politischen Alltag. Aber in so kurzer Zeit hintereinander und das direkt am Anfang dieser jungen Regierung?
Schlechtes politisches Management
Dem Ganzen wurde vor allem eine Einstellung zum Verhängnis, die in der aktuellen deutschen Politik viel zu oft vorherrscht: „Wird schon gut gehen.” Um die Probleme wird sich erst gekümmert, wenn sie da sind. Dass am Ende oft mehr Schaden angerichtet ist, als der vorige Aufwand gekostet hätte, wird dabei irgendwie immer ausgeblendet.
So hätte die CDU durchaus früher bemerken können, dass es in ihrer eigenen Fraktion um eine der vorgeschlagenen SPD-Kandidatinnen ganz schön brodelt. Man hat sich aber einfach dazu entschieden, es darauf ankommen zu lassen. Als es sich dann aber nicht mehr ausblenden ließ, war es für jede Vorbereitung zu spät. Die Wahl der neu zu besetzenden Richterstellen wurde in letzter Minute abrupt abgeblasen.
Dies demontiert jedoch nicht automatisch das Bundesverfassungsgericht, wie manche lautstark behaupten. Es betrifft es zwar, aber es war nicht der handelnde Akteur. Ohne jeden Zweifel beschädigt sind allerdings der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn und die Führungsriege der CDU. Während Friedrich Merz den weltpolitischen Kanzler gibt, muss er sich darauf verlassen können, dass seine Stellvertreter im Parlament alles im Griff haben. Das war hier eindeutig nicht der Fall, wie Spahns Last-Minute-Flucht in die Plagiatsvorwürfe gegen Frau Brosius-Gersdorf gezeigt hat.
Schnell stellte sich heraus, dass es gar keine Plagiatsvorwürfe waren, sondern ein geäußerter Verdacht auf Kollusion und die Darlegung einiger Textübereinstimmungen mit der Habilitationsarbeit ihres Mannes. Wer hier von wem was übernommen hat, ist gar nicht ausgemacht.
Obwohl diese teilweise unfairen und vielen unakzeptabelen Äußerungen gegen Frau Brosius-Gersdorf kein valides Argument gegen sie als Verfassungsrichterin darstellen, haftet der Personalie nun leider etwas Negatives an. Dafür kann sie selbst freilich wenig; ihre fachliche Eignung steht außer Zweifel. Doch meiner Ansicht nach wäre es für das BVerfG als Institution mit größtem Rückhalt in der Bevölkerung zuträglicher, wenn Richterstellen mit Personen besetzt würden, von denen die meisten Menschen noch nie gehört haben. Nicht, um Kandidatinnen aufgrund ihrer Standpunkte zuverhindern, sondern um sicherzustellen, dass das Gericht weiterhin als politisch unaufgeregt (nicht zu verwechseln mit völlig unpolitisch) wahrgenommen wird.
Neustart nur mit Einsicht und Egoverzicht
Es hat sicherlich auch sein Gutes, dass jetzt erst einmal die parlamentarische Sommerpause beginnt, in der die Gemüter hoffentlich etwas abkühlen können. Die SPD wäre gut beraten, aus der Situation strategisches Kapital zu schlagen. Das funktioniert nicht, indem man sich in die schlimmsten Anschuldigungen hineinsteigert und aus Trotz und Prinzip erst recht an der Kandidatin festhält. Wenn die SPD ihren Schock jetzt verdaut hat, könnte sie mit Kompromissbereitschaft auf die CDU zugehen und noch mehr für sich herausholen. Die SPD sucht sich eine neue Kandidatin aus, mit der die CDU-Abgeordneten sich besser arrangieren können. Dadurch hätte die CDU-Fraktion sogar noch einen gesichtswahrenden Ausgang vorzuweisen – allerdings zu einem Preis: die Bereitschaft, mit der Linken zu sprechen, was bei künftigen Zweidrittelmehrheiten ohnehin unumgänglich sein wird, und einer neuen CDU-Fraktionsspitze, die Jens Spahn ersetzt.
Wenn CDU und Merz den Mut hätten, die bisherige Fehlbesetzung der Fraktionsspitze und das schlechte Fraktionsmanagement einzugestehen, und die SPD die Bereitschaft zu der Bescheidenheit, die Situation strategisch mit kühlem Kopf zu nutzen, könnte die Regierung aus diesen Ereignissen gestärkt hervorgehen – und stünde immer noch erst am Anfang ihrer Amtszeit.
Der letzte, dieser und folgende Artikel verstehen sich nicht als Neuauflage der früheren Wochenschau auf dem Blätterwald. Ich nutze nur die Möglichkeit, hin und wieder Gedanken aufzuschreiben und online zugänglich zu machen.
Richtig: "Doch meiner Ansicht nach wäre es für das BVerfG als Institution mit größtem Rückhalt in der Bevölkerung zuträglicher, wenn Richterstellen mit Personen besetzt würden, von denen die meisten Menschen noch nie gehört haben. Nicht, um Kandidatinnen aufgrund ihrer Standpunkte zuverhindern, sondern um sicherzustellen, dass das Gericht weiterhin als politisch unaufgeregt (nicht zu verwechseln mit völlig unpolitisch) wahrgenommen wird."