Du wirst immer ein Bürger zweiter Klasse bleiben - Die Wochenschau
In der Türkei wurde gewählt und Erdogan scheint doch noch nicht ganz am Ende zu sein. Die Grünen stecken in der Krise. Außerdem sollten alle in Deutschland lebenden wählen dürfen.
Türkei-Wahl
In der Türkei wurde gewählt, und Erdogan hat entgegen Wahlprognosen mit knapp fünf Prozentpunkten Vorsprung die Wahl beinahe erneut im ersten Wahlgang für sich entscheiden können. Er kam laut Angabe des „Hohen Wahlrats“ auf 49,5 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu, der Kandidat der Opposition, kam auf 44,9 Prozent. Da keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit von 50 Prozent erreichte, wird es am 28. Mai eine Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu geben. Wie auch bei den vergangenen Wahlen wurde Erdogan von den Wahlberechtigten, welche im Ausland leben, gerade auch in Deutschland, deutlich häufiger gewählt.
Der Frage, wie das zusammenpasse, „hier die Vorzüge der Demokratie genießen und dort jemanden wählen, der sie abschaffen“ wolle, geht JONAS FORSTER für der Westen nach. Dazu spricht er mit dem Kölner Türkei-Experten und Journalisten Eren Güvercin. Durch intensive Politikarbeit in Deutschland würde Erdogan den hier lebenden Türken vermitteln, „‚dass er der große Bruder der türkeistämmigen Menschen in Deutschland‘“ sei. Zudem nutze er geschickt die Bedürfnisse nach Anerkennung und Heimat der im Ausland lebenden Türkinnen: „‚Egal wie gut du integriert und wie erfolgreich du beruflich in Deutschland bist – du wirst von den Deutschen nie als gleichberechtigter Bürger anerkannt, du wirst immer ein Bürger zweiter Klasse bleiben. Sei also stolz auf dein Türkendasein und sei loyal zum türkischen Staat‘“.
Blätterwald: Nach der Wahl in der Türkei – die Ernüchterung in den europäischen Medien und Regierungen war groß – hörte man oft die Erklärung, die Wahlen seien zwar frei gewesen, aber nicht fair. Und das kann mit dem Wissen um die ganzen Repressalien, die Erdogan für seinen Wahlkampf nutzte, auch niemand bestreiten. Aber keineswegs sollte man daraus den Schluss ziehen, dass nur deswegen so viele (wieder) für ihn gestimmt haben, weil sie quasi „manipuliert“ gewesen wären. Natürlich ist es beachtlich, dass Erdogan trotz des unfairen Wahlkampfs nicht einmal mehr in der Lage war, direkt im ersten Wahlgang mit einer Mehrheit zu überzeugen. Sein politischer Erfolg scheint sich also dem Ende zuzuneigen. Zieht man die durch den unfairen Wahlkampf „manipulierten“ Stimmen allerdings ab, bleibt immer noch ein harter Kern von bestimmt gut 1/3 übrig, der, unabhängig von allen Krisen, an Erdogan oder zumindest seinem religiösen Nationalismus festhält. Die Erklärung dafür, warum Erdogan trotz der ganzen (wirtschaftlichen) Probleme im Land immer noch nicht abgewählt wurde, muss also komplexer sein. Man muss wohl viel stärker beachten, dass die Wahl nicht (nur) eine Frage des Portemonnaies war, sondern eine der Gefühle und Identitäten.
Deutschland
Neben der Wahl in der Türkei gab es auch noch eine Wahl in Deutschland. Das Bundesland Bremen hatte gewählt und der SPD mit 29,8 Prozent der Stimmen zu alter Stärke verholfen. Die CDU folgte auf dem zweiten Platz mit 26,2 Prozent, und die Grünen sind auf 11,9 Prozent abgerutscht. Auch auffällig sind die 9,4 Prozent der unbekannten Partei „Bürger in Wut“, welche wohl stark davon profitiert hatten, dass die AfD wegen interner Streitereien nicht zur Wahl angetreten war.
Für die Grünen würden nun auch die normalen Gesetze „der politischen Schwerkraft“ gelten, kommentiertGEORG ANASTASIADIS für Merkur.de. „Dass ausgerechnet die Grünen, die die moralische Messlatte (für andere) gerne höher legen, in eigener Sache so nassforsch über Fehler hinweggehen zu können glaub(t)en, hat sie in den Augen vieler Bürger zu einer ganz normalen Partei gemacht […]. Der nächste Fehler wäre jetzt zu glauben, dass es mit einem Bremer Bauernopfer getan wäre. Der Absturz der Grünen in der Hansestadt begann, als im fernen Berlin die Verwandtenaffäre und die Debatte um das verkorkste Heizungsverbotsgesetz Fahrt aufnahm.“ Auch Habeck könne nicht mehr um ernsthafte Konsequenzen in seinem Ministerium herumkommen.
So kam es dann auch. Habeck entlässt seinen umstrittenen Staatssekretär Patrick Graichen nun doch. Denn nachdem die internen Compliance-Untersuchungen abgeschlossen waren, taten sich neue Vorwürfe auf.
Durchaus hätte Graichen schwere politische Fehler begangen, die eine Entlassung absolut rechtfertigen würden, findet CLAUS HULVERSCHEIDT in der SZ. „[Doch] zu behaupten, Graichen habe gemeinsam mit seiner Schwester, seinem Bruder, seinem Schwager und anderen ein familiäres, ja mafiöses grünes Netzwerk im und um das Wirtschaftsministerium aufgebaut, war dennoch immer übertrieben, ja ehrabschneidend. Hier nutzen einzelne Parteien und Interessengruppen die Causa Graichen, um die Klimaschutzpläne der Grünen und der Koalition auch inhaltlich zu diskreditieren […].“ Jetzt würde die Krise der Grünen auf die Klimapolitik überschwappen. Dabei hätten Habeck und die Seinen in Bezug auf den Klimaschutz eigentlich gute Argumente auf ihrer Seite. Woran es jedoch mangeln würde, sei „ein Gespür dafür, welches Tempo die Menschen mitgehen können, wie belastbar sie finanziell sind – und wie man es schafft, aus guten Argumenten einen Gemeinsinn zu entwickeln.“
Die Ampelkoalition hat eine Einigung bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts errungen. Der neue Gesetzentwurf soll Einbürgerungen vereinfachen. Sie soll jetzt nach fünf anstatt acht Jahren möglich sein. Ein Bezug von Sozialleistungen soll eine Einbürgerung in der Regel ausschließen. Es gelten allerdings einige Ausnahmen, wie bei Familien mit minderjährigen Kindern.
Was die Ampel plane, sei demokratisch schlicht geboten, erinnert RONEN STEINKE in der SZ. Die ganzen Menschen, die hier leben und Steuer zahlen würden, müssten endlich demokratisch repräsentiert werden. Die fehlende Staatsbürgerschaft stehe dem allerdings meistens im Weg. „Das schafft eine Repräsentationslücke, die für eine Demokratie auch zum wachsenden Legitimitätsproblem wird. Und deshalb ist es nicht nur nett oder großzügig, sondern überfällig, wenn jetzt die Bundesregierung diesen Menschen leichter zu einem deutschen Pass verhelfen will. […] Es ist nicht bloß ein Geschenk, das man machen kann, aber nicht muss, wie es die Opposition zur Rechten nahelegt, zum Beispiel der CSU-Politiker Alexander Dobrindt, der spöttelt, der deutsche Pass werde da ‚verramscht‘.“
BERNHARD JUNGINGER erkennt in der Augsburger Allgemeinen hingegen auch die Notwendigkeit von klaren Einschränkungen bei der Einbürgerung. Grundsätzlich sei es völlig richtig, dass hier lebende und arbeitende Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollen. Aber auch eine ehrliche Portion Realismus sei wichtig: „Von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden einfachere Einbürgerungsregeln nur, wenn auf der anderen Seite klar ist, dass Menschen, die keine echte Bleibe- und Integrationsperspektive haben, entweder gar nicht erst einreisen dürfen oder zügig abgeschoben werden. Erfolgreiche Einwanderungsländer wie Kanada machen es vor: Die Voraussetzungen zur Einreise sind hart – doch wer sich an die Regeln hält, darf schnell ein vollwertiger Teil der Gesellschaft werden“.
Ausland
RICHARD HERZINGER gibt auf seinem Blog zu bedenken, welche Folgen die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga habe. Damit würde die internationale Isolation des „massenmörderischen Assad-Regimes“ durchbrochen. „Fatale Konsequenzen hat diese Aufwertung des Regimes in Damaskus nicht nur für die Region, sondern für die internationale Ordnung insgesamt. Denn die Rehabilitierung des Schlächters Assad durch die arabische Welt stellt einen Triumph für Putins Russland dar, das zur Sicherung von Assads Herrschaft große Teile Syriens in Schutt und Asche gebombt hat – in enger kriegerischer Allianz mit dem Iran, der jetzt seinerseits den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt.“ Dass der Westen die Rehabilitierung in die arabischen Staaten nicht verhindern konnte, zeuge von seiner wachsenden Ohnmacht in Bezug auf jene Region. Im Nahen Osten schwinge das Pendel nun mit voller Wucht zurück: „von den Ansätzen zu einer Demokratisierung der Region zur neuerlichen Verfestigung autoritärer und terroristischer Herrschaftssysteme“.
Anlässlich des G7-Gipfels ermahnt JENS MÜNCHRATH im Handelsblatt den exklusiven „G7-Club“ zu mehr Bescheidenheit. Nur noch knapp 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und zehn Prozent der Weltbevölkerung entfielen auf die sieben größten Industriestaaten. Maß aller Dinge sei der Westen so schon lange nicht mehr. Das jetzige G7-Treffen in Hiroshima sei eher als Akt der Selbstvergewisserung des Westens anzusehen. „Jener Rest der G20-Länder, die etwas abfällig Schwellenländer genannt werden, aber inzwischen für die Hälfte des Welt-BIP stehen, beäugt dies mit Skepsis – nicht zuletzt deshalb, weil aus westlicher Selbstvergewisserung immer auch ein Stück westliche Selbstgerechtigkeit erwuchs. […] Wieder maßt sich der Westen an, die Welt in Gute und Schurken einzuteilen – in jene also, die westliche Werte teilen, und jene, die es nicht tun.“ Zwar hieße das nicht, dass es keine universellen Menschenrechte gäbe, für die es sich zu kämpfen lohne. „Aber der Verdacht des globalen Südens, dass westliche Staaten nicht selten eben diese westlichen Werte instrumentalisieren, um ökonomische und geopolitische Ziele zu erreichen, ist durchaus berechtigt.“ Sind Menschenrechte und „westliche Werte“ jetzt dasselbe, oder nicht?
Ukraine-Krieg
REINHARD VESER erinnert in der FAZ daran, dass wir die Rolle Deutschlands in der Vorgeschichte des russischen Angriffskriegs aufarbeiten sollten. Zwar lieg die Schuld am Krieg nicht in Berlin, sondern allein bei Moskau. Aber jene deutsche Russlandpolitik in den Jahren vor dem Kriegsbeginn, sei nicht einfach nur gescheitert. Viel mehr hätte sie den Kreml seit 2014 zur Fortsetzung seiner Aggressionen gegen die Ukraine ermutigt. „Wenn Moskau provozierte, vermied Berlin deutliche Reaktionen, um die Spannungen nur ja nicht noch größer werden zu lassen.“ Noch schlimmer aber sei gewesen, dass die Bundesregierung mit dem Festhalten an der Ostseepipeline Nord Stream 2 Moskau den Eindruck vermittelte, bereit zu sein, die Ukraine zu verkaufen. „In den Jahren darauf konnte der Kreml tun, was er wollte – die völkerrechtswidrige Krim-Brücke bauen, ukrainische Seeleute als Geiseln nehmen, einen Mord mitten in Berlin organisieren: Deutschland hielt unbeirrt an Nord Stream 2 fest. Und es blieb bei der absurden Behauptung, die Pipeline sei kein politisches, sondern vor allem ein privatwirtschaftliches Vorhaben – oder überhöhte sie gar zum verbindenden Element zwischen Deutschland und Russland in schwierigen Zeiten.“
Recht und Medien
In der Affäre um „Cum-Ex“-Geschäfte der Hamburger Warburg Bank, gab es Tagebucheinträge eines Bankiers, welche Auskunft darüber geben konnten, ob sich Scholz zu Zeiten als Hamburger Oberbürgermeister mit eben jenem Banker traf, um der Warburg Bank Steuerrückforderungen zu erlassen. JOST MUELLER-NEUHOF schreibt für den Tagesspiegel über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass die Presse aus dem Tagebuch zitieren durfte. „Die Tagebuchnotizen des früheren Warburg-Bankiers sind mit guten Gründen in die politische Diskussion geraten. Es wäre widersinnig, sie mit einem juristischen Tabu zu belegen. […] Gut, dass der Bundesgerichtshof da nicht mitgemacht hat.“
Zum Schluss
Brendan Fraser war lange Zeit aus der Filmwelt verschwunden. Jetzt, mit dem letzten Oscar für die beste schauspielerische Leistung gekrönt, ist er mit „The Whale“ zurückgekehrt. Der Protagonist Charlie lebt zurückgezogen in einer düsteren Wohnung und gibt Onlinekurse für erfolgreiches schreiben. Als sich sein Gesundheitszustand aufgrund seines extremen Übergewichts zusehends verschlechtert, versucht er den Kontakt zu seiner jungen Tochter wiederherzustellen, die er als 8-Jährige verlassen hatte. Was Brendan Fraser hier als ersten Film-Charakter seit seiner Berufs-Flaute abliefert, hat ihn völlig zurecht sofort in den Hollywood-Schauspiel-Olymp katapultiert. Die Figur Charlie ist so zutiefst menschlich, dass man trotz der ganzen Verfehlungen nur Mitleid mit ihr haben kann. Das Kammerspiel, welches fast ausschließlich in Charles Wohnung stattfindet, ist deutlich von der Theatervorlage geprägt. Das ganze funktioniert aber genauso gut im Kino. Am Ende wird man mit einem anhaltenden mulmigen Gefühl zurück in seinen Alltag entlassen und merkt irgendwann, wie lebensnah die Gefühle und Leiden der Charaktere von „The Whale“ waren.