Dopamin Detox - Ein YouTube Trend
Auf YouTube gibt es alle möglichen absurden Trends, die einem zum neuen Super-Ich verhelfen sollen. Doch manche entpuppen sich auf den zweiten Blick als durchaus sinnvoll.

Sie fragen sich vielleicht, was das sein soll, dieser „Dopamin Detox“? Dann sind Sie entweder über 25 oder schauen kein YouTube. Oder beides. Der Detox-Trend rund um Dopamin und Aufmerksamkeit boomt schon seit einigen Jahren auf YouTube. Hat man einmal ein paar Videos zur „Persönlichkeitsentwicklung“ angeklickt, dauert es nicht lange, und der Algorithmus spuckt einem anscheinend unendlich viele ähnliche Videos aus. „My Extreme Morning Routine Hits Different“, „How To Become A Millionare Before 21“ oder eben „Dopamin Detox Changed My Life Completely!“ lauten die Versprechungen der Video-Titel. Die meisten sollte man also getrost ignorieren. Und doch kann man bei manchen etwas lernen. So auch beim „Dopamin Detox“.
Dem Dopamin-Detox (D-Detox) liegt die Annahme zugrunde, dass wir heutzutage in einer ständigen Überstimulation leben – eine eigentlich einleuchtende Beobachtung. Während wir arbeiten, liegt unser Smartphone jederzeit (griff)bereit neben uns, um es zwanzigmal die Stunde auf neue Mitteilungen hin zu überprüfen. Während der kleinen freien Zeitfenster, die uns in unserem überfüllten Alltag noch bleiben, versuchen wir jederzeit noch schnell etwas zu erledigen. Einen Anruf, eine Besorgung oder noch kurz eine E-Mail beantworten. Auf dem Hin- und Rückweg zur Arbeit lassen wir uns mit dem Radio beschallen. Beim Kochen oder dem Haushalt hören wir die neusten Podcasts oder Talkshows nebenher. Und nach der Tagesschau und dem Abendessen geben wir uns immer noch mindestens zwei Folgen unserer Lieblingsserie oder direkt einen ganzen Film, bis wir dann eigentlich wirklich erschöpft, geistig aber irgendwie immer noch aufgedreht, um 01:00 ins Bett kommen, wo wir dann noch solange etwas lesen, bis uns endlich die Augen zufallen.
Wo bleibt da mal eine freie Minute, ein Augenblick, ohne etwas aufnehmen zu müssen? Meistens gar keine mehr. Dies mag ein Extrembeispiel sein, und trotzdem werden sich wohl viele in diesem Tagesablauf erschreckend genau wiederfinden. Unsere Gehirne sind so sehr an die Dauerbeschallung von Informationen gewöhnt, dass wir ständig danach streben, irgendetwas geistig zu konsumieren. Bloß kein Moment in Stille oder Reizlosigkeit mit den eigenen Gedanken allein sein. Diese Muster haben wahrscheinlich auch etwas mit Dopamin zu tun, einem Hormon und Botenstoff, welches wohl alle als das Glückshormon kennen. Es macht aber nicht nur glücklich, sondern ist auch an unserer Motivation und Antriebskraft beteiligt. Bei Suchterkrankungen spielt es vermutlich ebenfalls eine entscheidende Rolle, zum Beispiel bei dem Auslösen von „cravings“, dem starken Verlangen nach dem Suchtmittel. Es kann uns also auch antreiben.
Der Name „Dopamin-Detox“ kommt von dieser Verbindung zum Dopamin. Beim D-Detox geht es um einen ganzen Tag oder bewusst geplante Zeiten, in denen man versucht, sich von dem Gehirn-Muster der ständig gesuchten Reiz(über)flutung zu befreien. Wie läuft solch ein D-Detox Tag ab? Es gibt nur eine einzige Regel, von der sich alle anderen ableiten lassen: keine Reize. Nichts, was unser Belohnungszentrum stimuliert, nichts, was viele Informationen beinhaltet. Kein Smartphone und generell keine medialen Geräte. Nicht lesen, keine Musik hören, nicht aufräumen und nicht putzen. Kein Sport oder Yoga, kein Sprechen und, wenn möglich, keine anregenden Nahrungsmittel zu sich nehmen. Außerdem ist es wichtig, dabei allein zu sein. Andere Personen sind auch eine Ablenkung.
Was das alles bringen sollte? Außerdem hätten Sie keine Zeit für einen solchen Unsinn? Gerade diese Gedanken zeigen, wie sehr es mittlerweile in uns allen verankert ist, dass wir bloß keine Zeit verschwenden, jeden Moment immer optimal ausnutzen sollten. Das beginnt schon mit der verkehrten Annahme, „nichts“ zu tun würde bedeuten, wirklich nichts zu tun. Dabei ist das überhaupt nicht der Fall. Nur weil wir uns nicht mit etwas Konkretem beschäftigen, bedeutet das nicht, es würde nichts mit uns passieren. Gerade in den Momenten, in denen „nichts“ anderes passiert, beginnt unser Gehirn mit einer wichtigen Tätigkeit: dem Verarbeiten. Denn all die Informationen, die rund um die Uhr auf uns einprasseln, müssen auch sortiert, bewertet und gespeichert werden. Dazu kommt unser Gehirn wegen der Dauerbeschallung häufig nicht mehr. Es bleibt also oft nur noch der Schlaf für diese Aufgabe übrig. Der reicht aber, gerade auch weil er häufig ebenfalls zu kurz kommt, nicht vollständig dafür aus.
Der D-Detox ermöglicht also nicht nur, sich mitunter von dieser ständigen Überflutung an Reizen einen „Reset“ zu gönnen. Sondern er ist auch essenziell dafür, unseren Alltag und das Leben schlicht und ergreifend einmal zu verarbeiten. Braucht es dafür einen D-Detox-Trend? Eigentlich nicht. Da wir aber nicht mehr wie früher nach dem Jagen und Sammeln bis zum Schlafen gehen nur in Ruhe am Lagerfeuer sitzen, fehlt den meisten dieser Teil im normalen Alltag. Es muss natürlich nicht direkt ein ganzer Tag sein. Aber es ist wichtig, sich das Bewusstsein dafür zu schaffen, auch einmal Momente zu haben, in denen man das ganze Leben in seiner Fülle auf sich einwirken lassen kann. Das Gehirn macht den Rest dann von ganz allein.
Und denen, die einmal den „kompletten“ D-Detox ausprobieren möchten, will ich nicht vorenthalten, dass eine, dem Sortieren und Verarbeiten von Gedanken sehr nützliche, Tätigkeit dann doch erlaubt ist: das Schreiben. Über die eigenen Gedanken und alles was einen beschäftigt. Natürlich nur mit Stift und Papier. Ganz klassisch und völlig unabhängig davon, ob Sie über oder unter 25 sind.