Kurz und knapp
Die Regierung in Frankreich hat das wegen der geplanten Rentenreform abgehaltene Misstrauensvotum der Nationalversammlung überstanden. Derweil nehmen die Proteste landesweit wieder zu.
Der Verfassungsschutz warnt vor chinesischen Spionagemöglichkeiten durch Unternehmen wie TikTok oder Lieferanten für Telekommunikationstechnik. Auch der amerikanische Kongress beschäftigt sich intensiv mit dem möglichen chinesischen Einfluss durch TikTok.
Am Montag wird es wahrscheinlich zu bundesweiten Warnstreiks des Nah- und Fernverkehrs kommen. Möglicherweise besteht eine vollständige Lahmlegung des öffentlichen Verkehrs durch die Streiks von Verdi und EVG.
International
Uganda verabschiedet ein neues Gesetz gegen alle queeren Menschen. BERND DOERRIES erklärt in der SZ, warum Homophobie in Afrika so gesellschaftsfähig sei. Zunächst aber zu dem Gesetz in Uganda, das nicht nur Homosexualität, sondern auch Mitwisserschaft sowie das bloße Bekenntnis unter Strafe stellen würde. Der Gesetzgebungsprozess sei von homophoben Äußerungen einiger Politiker begleitet gewesen. Die Empörung dagegen halte sich jedoch in Grenzen – denn „in vielen Ländern Afrikas gehört Schwulenfeindlichkeit zum gesellschaftlichen Konsens“. Rund die Hälfte der Länder auf der Welt, die gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisieren würden, lägen in Afrika. Oft würde von Politikern das Argument angeführt, Homosexualität sei „un-afrikanisch“ und ein „westlicher Import“. Doch ironischerweise sei „nicht die Homosexualität aus Europa importiert, sondern eher die Homophobie“. Die Verfolgung von Homosexualität hätte nämlich wahrscheinlich erst mit dem Eintreffen der europäischen und arabischen Kolonialisten begonnen. So würden zum Beispiel die kriminalisierenden Gesetze aus Kenia, Tansania und Uganda noch aus britischer Herrschaft stammen. Und auch eine kulturelle Erklärung könnte es für die breite Akzeptanz der Diskriminierung geben, sagt der ghanaische Philosoph Odei Ajei: „Die moralische Bedeutung, die in vielen afrikanischen Gesellschaften dem Kinderkriegen beigemessen werde, betone den heterosexuellen Geschlechtsverkehr als Mittel, dies zu erreichen.“
Der vom internationalen Gerichtshof erlassene Haftbefehl gegen Putin sei ein Fehler, findet WOLFGANG BAUER in der ZEIT. Dieser Haftbefehl sei kein Mittel der Gerechtigkeit, sondern „Teil einer erweiterten Kriegsführung“. Dieser Haftbefehl würde zu nichts beitragen – nicht dazu, dass Putin wirklich vor Gericht käme, sich jemand rechtfertigen müsste oder Leid gelindert würde – außer, dass sich die Welt weiter in zwei Blöcke polarisiere. Das Gericht in Den Haag sei Partei geworden, bevor noch irgendein Urteil gesprochen wurde. Denn auch andere Haftbefehle hätten sonst erlassen werden müssen, wie zum Beispiel gegen den ehemaligen Präsidenten Bush im Falle des Irak-Krieges. „Es gehören beide Verbrechen untersucht.“ Wenn die Weltbevölkerung sähe, dass ein internationales Gericht bei den einen Verbrechen Haftbefehl erlasse, bei den anderen aber nicht, würde dies seine Glaubwürdigkeit verspielen.
Fürs erste scheint eine globale Finanzkrise abgewendet. Doch ein Grund zum Aufatmen gebe es nicht wirklich, schreibt HUBERT SPIEGEL in einem Kommentar für die FAZ. Wenn eine Bank hundsmiserabel gewirtschaftet hätte, stünde schon der Staat als Sanitäter mit Goldkoffer parat. SPIEGEL fragt, ob wir uns wirklich klaglos daran gewöhnen wollen. Denn immer passiere das Gleiche: Eine Bank schließe irgendwann mit so vielen Verlusten ab, dass sie gerettet werden müsse, da es doch immer heiße: systemrelevant! Aber warum müsse der Staat für die Absicherung von Banken und dem ihnen anvertrautem Geld aufkommen? „Weil [die Banken] selbst es nicht absichern wollen, nicht absichern können und offenbar meinen, es auch nicht absichern zu müssen. […] Systemrelevant scheint der Fetisch Systemrelevanz in erster Linie für ein System zu sein, dessen größter Geschäftserfolg darin besteht, dass es sich resilient und nachhaltig gegen Reformen und Kontrollen zu stemmen versteht.“
ALEXANDRA FOEDERL-SCHMID interviewt in der SZ den Historiker TOM SEGEV zu den Protesten in Israel. Die nun von Netanjahu angekündigten Änderungen bei der Justizreform seien allerdings eher durch die Reaktionen im Ausland hervorgerufen worden. Letztlich sei aber auch egal, was Netanjahu dazu bewegte, schließlich seien die Veränderungen nur kosmetischer Natur. Und auch die Verschiebung des endgültigen Beschlusses in der Knesset sei kein geschaffener Raum für Verhandlungen, sondern ein Versuch, die aufgebauten Massenproteste über die dazwischen liegenden Feiertage zu schwächen. Zudem warnt SEGEV: „Es gibt eine sehr, sehr große Gefahr, dass Krieg kommt. Die großen Kriege kamen immer von schwachen Regierungen. […] Wenn es scheint, dass die israelische Gesellschaft auseinanderfällt, dann kommt ein Krieg und rettet unsere Einigkeit.“
Ebenfalls in einem Interview, dieses in der NZZ von ROMAN BUCHELI, schildert der chinesische Schriftsteller LIAO YIWU seine Vorstellung von China: „China ist nicht mehr ein Land, das geografisch definiert ist. Es breitet sich auf die ganze Welt aus. Xi Jinping hat mit der Seidenstraßen-Strategie die chinesische Präsenz ausgedehnt. China ist global geworden.“ Doch eine riesige Präsenz, bedeute nicht, dass dahinter ein starkes Regime stecke. Gerade die Pandemie hätte gezeigt, wie schwach das chinesische Regime sei. Die Strategie in der Corona-Zeit sei rein ideologisch gewesen und nur „eine furchtsame und argwöhnische Regierung“ müsse Millionenstädte in Gefängnisse verwandeln, um zu überstehen. Auch Chinas „Friedenspläne“ für den Ukraine-Krieg seien lächerlich. In Bezug auf Taiwan könnten wir nur hoffen, dass die Ukraine den Krieg gewinne. Denn ob China Taiwan überfällt, hänge sehr vom Ergebnis des Ukraine-Krieges ab. Wenn Putin den Krieg verlieren würde, würde es sich Xi mit einem Taiwan-Angriff sehr genau überlegen. Gefährlich würde es, wenn sich der Krieg in die Länge zöge und man ihn dann mit einer Verhandlungslösung aus der Welt schaffen wolle. „Dann könnte Xi zu dem Schluss kommen, dass sich die westliche Welt nicht getraut, richtig mitzukämpfen. Das könnte ihn ermutigen, Taiwan anzugreifen.“
Wokeness hätte in den USA den Sozialismus als das große konservative Schreckgespenst abgelöst, meintDAVID A. GRAHAM in The Atlantic. Noch während der ersten Amtszeit von Barack Obama hätte sich die amerikanische Rechte auf die angebliche Bedrohung durch Kommunismus und Sozialismus fixiert, angestoßen durch hohe Staatsausgaben zur Wirtschaftsankurbelung und Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes. Doch heutzutage wäre „Wokeness“ das Feindbild geworden. Beispielhaft dafür seien Äußerungen in der letzten Zeit, in der führende Persönlichkeiten der republikanischen Partei den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank als „einen Fall darstellten, in dem ‚woke values’ solide Geschäftspraktiken untergraben“ hätten. Dass nun „woke“ anstelle von Sozialismus für alle Probleme herhalten müsse, liege daran, dass der Kapitalismus gegenüber dem Sozialismus gewonnen hätte. Niemand würde mehr als Gegenmittel zum Sozialismus einen schmalen Staat fordern, denn selbst die konservative Bewegung hätte gelernt, „dass ihre Wähler auch nicht besonders daran interessiert sind, Ausgabenprogramme zu kürzen, zumindest nicht diejenigen, die ihnen zugutekommen“.
Medien
„Es ist zwei Uhr nachts, der Nacken schmerzt vom Zocken, die Augen jucken, die Hand krampft. Am nächsten Morgen ist Schule.“ JULIA ANTON informiert in der FAZ über Mediensucht bei Jugendlichen. Laut einer Studie der DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf seien in Deutschland rund 680.000 Kinder und Jugendliche abhängig von Computerspielen oder sozialen Medien. Dabei unterscheide sich die Mediensucht bis auf die Suchtsubstanz nicht sonderlich von anderen Suchterkrankungen. Denn auch hier stehe das Suchtverhalten, also der Medienkonsum, an erster Stelle. Andere Aktivitäten würden in den Hintergrund rücken, soziale Kontakte spielten keine große Rolle mehr. Vor allem durch die Pandemie seien die Zahlen der Mediensucht bei jungen Menschen rasant angestiegen. Doch die Verhaltensweisen hätten sich auch nach Pandemieende oft nicht mehr geändert: „Durchschnittlich zocken Kinder und Jugendliche nach der Schule jeden Tag 115 Minuten lang, 164 Minuten verbringen sie in sozialen Netzwerken. Rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche zeigen laut der Studie ein Risikoverhalten.“ Komplett verteufeln solle man die Medien aber nicht. Vielmehr bedürfe es mehr Unterstützung: Unterricht in Medienkompetenz, Aufklärung bei Eltern, Pädagogen und Kinderärzten sowie mehr Kontrolle der Hersteller und ihrer abhängigkeitsfördernden Angebote.
STEFAN NIGGEMEIER meldet einen „Newsflash“ in den Übermedien: Man müsse den Bundestag gar nicht verkleinern, wenn man nicht wolle. So denkt NIGGEMEIER darüber nach, ob das von allen einig formulierte Ziel der Verkleinerung überhaupt das richtige sei. Dabei geht es dem Autor nicht darum, dass es nicht auch gute Gründe für die Verkleinerung gäbe. Sondern darum, dass niemand mehr hinterfragen würde, ob dies eigentlich notwendig sei. Einer hätte diese Tat allerdings vollbracht: Justus Bender in einem Kommentar für die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Bender würde behaupten, das Problem sei gar „nicht die Parlamentsgröße, sondern der Kontrollverlust“. Wessen Kontrollverlust? Der der Parteien: „Durch das Prinzip von Überhangs- und Ausgleichsmandaten sei die Mandatsvergabe unvorhersehbar.“ Man könne eigene Leute nicht mehr eindeutig absichern. NIGGEMEIER gibt zu, er wisse nicht, ob das stimme. Doch er sei verblüfft gewesen, als er diesen Kommentar las. „Man kann sich nach dem Lesen dieses Kommentars immer noch dafür entscheiden, den Bundestag für zu groß zu halten, aber man musste sich erst dafür entscheiden.“ (Hier beantwortet Justus Bender in einem anderen Artikel noch die Frage, ob der Bundestag wirklich zu groß ist.)
Anlässlich des 50. Geburtstages der Talkshow in Deutschland möchte IMRE GRIMM im rnd reden. „Es ist heute kaum vorstellbar, dass das mal eine revolutionäre Fernsehidee gewesen sein soll: Stell ein paar seltsame Sitzmöbel auf, lade ein paar Menschen ein, gib ihnen etwas zu trinken, und lass sie reden.“ Früher sei die Talkshow den Deutschen so fremd gewesen, dass Moderator Dietmar Schönherr seinem Publikum am 18. März 1973 im WDR erst einmal den Begriff erklären musste. Ein halbes Jahrhundert später sähe es in den deutschen Talkshows wie folgt aus: „Gewohnheitsmäßige Zurückhaltung? Zerstört. Fein ausformulieren? Nicht doch.“ In gut zwei Dutzend Talkshows pro Woche würde sich das Stammpersonal die Münder wund reden. „Alles ist knapp: Gäste, frische Ideen, Sinn und Verstand.“ Im Kern seien Talkshows Egobooster, Kampfarenen und mediale Rummelplätze. Wer heute schweige, gelte im Wortsinne als nichtssagend. Und wer sich im öffentlichen Leben Gehör verschaffen wolle, müsse anbrüllen gegen „eine Flut von Stimmen, Meinungen, Tweets, Posts und Statements von Expertinnen, Experten, Analystinnen, Analysten, Politikerinnen, Politikern, Welterklärerinnen und Welterklärern.“ Schade nur, dass der Autor dann nicht selbst einmal schweigt. Denn nach 1/3 seines Kommentars, ist eigentlich schon alles gesagt.
Zum Schluss
„Im Westen nichts Neues“ hat bei den diesjährigen Oscars vier Mal gewonnen. Eine deutsche Produktion? Kann das sein? Anscheinend schon, und „Im Westen nichts Neues“ zeigt auch ganz genau, wie das gelingen kann. Die Netflix-Produktion mit Edward Berger wirkt sehr authentisch. Trotz der teilweise extrem grausamen Szenen fängt die Kamera immer wieder auch ästhetisch traurig-schöne Bilder ein. Und auch wenn es in Deutschland vermehrt die Kritik gab, dass der Film historische Geschehnisse wie eine Karikatur überspitzt darstellt oder vereinzelt sogar vom wirklich Geschehenen abweicht, so ist doch ein beeindruckender Anti-Kriegs-Film entstanden, der die Grausamkeit des Krieges so intensiv einfängt, dass man sich am Ende einfach nur fragt: Wozu das alles?