
Ukrainekrieg
Zunächst zum 1. Jahrestag des von Russland begonnenen Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2023, der diese Woche die Medienbeiträge dominierte.
Am Montag reiste US-Präsident Biden heimlich nach Kyiv, was wohl einen gewaltigen logistischen Aufwand bedeutete. Doch spätestens mit dem riesigen Sicherheitsaufgebot in Kyiv bei seiner Ankunft ahnten die meisten, welcher Besucher das sein könnte.
In einem Meinungsbeitrag auf Project Syndicate erklärt SLAVOJ ŽIŽEK noch einmal das Offensichtliche: „Manchmal sind die Dinge wirklich so einfach, vor allem jetzt, wo Russland sich anschickt, den Jahrestag seines Krieges mit einer neuen Offensive zu feiern. Es ist obszön, die Ukraine für die russischen Zerstörungsakte verantwortlich zu machen oder den heldenhaften Widerstand der Ukrainer als Ablehnung des Friedens zu missdeuten.“ In aller Deutlichkeit sagt ŽIŽEK all denen, die Neutralität fordern, was das für den Krieg bedeuten würde: „Es sei noch einmal erwähnt, dass Russland darauf setzt, dass sich das ‚neutralistische’ Argument letztendlich durchsetzen wird.“ Wie der Militärhistoriker Michael Clarke erklärt, „wird der Plan des Kremls darin bestehen, so lange zu kämpfen, bis der Westen die Nase voll hat und Kiew unter Druck setzt, ihn mit dem Gebiet zu beschwichtigen, das er bis dahin eingenommen hat.“ Allerdings erinnert ŽIŽEK uns auch noch an etwas anderes: „So wie wir die Ukraine gegen einen Aggressor unterstützen, sollten wir auch die russische Kultur gegen ihren Missbraucher im Kreml verteidigen. […] Das Hauptziel ist nicht, dass Russland verliert und gedemütigt wird, sondern dass die Ukraine überlebt“, findet SLAVOJ ŽIŽEK.
In einem Gastbeitrag für die ZEIT beschreibt MARTIN SCHULZE-WESSEL Putins Wunsch, historisch einmal „ein ‚großer Mann’“ zu sein: „Unsterblichkeit strebt Putin als historischer Akteur an. […] Putin betrachtet die Geschichte als Wirkungsraum großer Männer. Er fühlt sich berufen, epochale Wirkungen in der Geschichte Russlands zu zeitigen.“ Am Ende geht SCHULZE-WESSEL darauf ein, wie es zu diesem Krieg durch die vielen Selbsttäuschungen westlicher Politiker kommen konnte, wobei ihn der Vergleich des Philosophen Jürgen Habermas mit dem 1. Weltkrieg nicht überzeugt. Vielmehr meint SCHULZE-WESSEL, dass die Entwicklungen, welche zum jetzigem Ukraine-Krieg führten, mit der Entstehung des 2. Weltkrieges zu vergleichen sei, „als westliche Nachgiebigkeit Hitler geradezu ermutigte, immer noch einen Schritt weiterzugehen“.
In einem Interview, ebenfalls in der ZEIT, erzählt der amerikanische Autor GEORGE PACKER von dem Einfluss, den der Ukraine-Krieg aus seiner Sicht auf die USA und seine westlichen Verbündeten hat. Diese, und vor allem Washington, hätten bewiesen, dass man immer noch wisse, „wie man eine Allianz zusammenhält“. PACKER geht sogar soweit zu behaupten, dass Putins Kriegsentscheidung „den Niedergang der amerikanischen Macht in der Weltpolitik umgekehrt“ hätte. Nach den außenpolitisch desaströsen Jahren unter Trump, schon unter Obama beginnend als Wunsch des Rückzuges aus den Krisengebieten der Welt, sei Amerika, „gerade erst aus einer depressiven Phase erwacht“, wieder die führende Macht unter den westlichen Verbündeten. Doch der Wunsch, für den vor allem Joe Biden stehe, die amerikanische „Macht zum Guten des Rests der Welt“ einzusetzen, wird laut PACKER nicht überall geteilt. Denn viele Länder wie Indien oder Brasilien würden gar nicht mehr nach amerikanischer Weltordnung leben wollen. Vielmehr sei eine Spaltung zwischen der Sicht des „Westens“ und des „globalen Südens“ zu erkennen: „Für die Europäer, auch für viele Amerikaner, ist er [der Krieg in der Ukraine – Anmerkung der Red.] das wichtigste Ereignis nach dem 11. September 2001. Der Globale Süden sieht ihn nicht als seinen Krieg, dort stehen die steigenden Energie- und Nahrungspreise im Zentrum.“
Auch KURT KISTER sieht den Ukrainekrieg in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung als einen „Katalysator für die Rückkehr der Supermacht USA in die Führungsposition im Westen“. Interessanterweise hat er ebenfalls die gleiche Beobachtung zum „globalen Süden“ gemacht: Staaten außerhalb des traditionellen Westens sähen den Krieg als einen rein „europäischen Konflikt“. Denn vielmehr hätten „große Teile der Welt, […] eine andere Vorstellung von der Zukunft als die USA und die EU“.
BERND RHEINBERG rechnet in einem Beitrag auf Salonkolumnisten mit den Vorstellungen der Friedensfreunde rund um Alice Schwarzer, Sarah Wagenknecht und Co. ab: „Der Zugang zu den Herzen der fünfhunderttausend Deutschen, die die Petition von Wagenknecht und Schwarzer unterschrieben haben und Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen und Verhandlungen herbeisehnen, war nicht schwer zu ergattern, es brauchte nur einen simplen Schlüssel, ein Sesam-öffne-dich, ein Wort, das nichts kostet – es heißt: Frieden.“ Doch RHEINBERG schildert, was das für ein Frieden wäre: „[Frieden] ist ein Wunschwort, das Voraussetzungen braucht, Bedingungen, die geschaffen werden müssen. Der Frieden des Opfers, das die Waffen einfach niederlegt, den Widerstand gegen den Aggressor aufgibt, besteht aus Tod, Freiheits- und Landverlust, ein Leben auf Knien und in Folterkellern. Wissen alle die, die nach solch einem Frieden rufen, einem bedingungslosen Frieden, was sie da fordern?”
Deutschland
Am Mittwoch hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts einer Organklage der AfD gegen den Deutschen Bundestag stattgegeben. Die AfD sei durch die momentane Regelung der staatlichen Förderung politischer Stiftungen in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt. Die AfD hatte gerügt, dass sie durch die Nichtberücksichtigung der ihr nahestehenden Desiderius-Erasmus-Stiftung in der staatlichen Stiftungsfinanzierung im Bundeshaushalt 2019 benachteiligt wird. Das Bundesverfassungsgericht gab der AfD recht, da mangels eines eigenen Gesetzes zur Stiftungsfinanzierung (noch) keine Rechtfertigungsgrundlage für den Eingriff in ihre Chancengleichheit vorliege.
GUNNAR HINCK ist in der taz der „AfD fast dankbar“. Denn die Klage habe endlich Licht in das undurchschaubare und scheinheilige System der Stiftungsfinanzierung gebracht. Für HINCK ist das ganze System der parteinahen Stiftungen reformbedürftig. So liefert er auch direkt einen Lösungsvorschlag mit: „10 Prozent der bisherigen Mittel reichen völlig aus. Das frei gewordene Geld sollte dahin umgelenkt werden, wo es der politischen Bildung wirklich nützt: in Schulen in benachteiligten Vierteln.“
Den politischen Wettbewerb gestärkt sieht REINHARD MÜLLER in der FAZ. So seien alle erlaubten Parteien vom Staat gleich zu behandeln. Es sei ein Merkmal des Rechtsstaats, dass auch abweichende Meinungen vor dem Gesetz gleich seien. Doch unabhängig von verfassungsrechtlich Gebotenem gibt MÜLLER zu bedenken, ob es politisch klug sei, „der unliebsamen Konkurrenz etwas [zu] verweigern, dass man für sich selbstverständlich in Anspruch nimmt.“ Das bedeute aber natürlich nicht, Parteistiftungen nicht „mit Blick auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung von der Förderung ausschließen“ zu können.
Medien
In einem komplizierten Streit zwischen Kritikern und dem Magazin Royale des ZDF scheinen die Grenzen zwischen Falschaussage und „nur“ verkürzter Berichterstattung vollends zu verschwimmen. Gegenstand des Streits ist die Magazin-Folge vom 17.02.23, „Christian Schmidt – what is on“, in der es um den „Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft“ in Bosnien-Herzegovina, Christian Schmidt, und seine Politik geht.
MICHAEL MARTENS wirft in der FAZ dem Magazin Royale „Recherche mit dem Vorschlaghammer“ vor. Denn „die Verkürzung oder Weglassung einer Aussage“, könne schnell in eine Verfälschung der Tatsachen umschlagen. Begründen tut MARTENS seinen Vorwurf hauptsächlich mit der schon vorher geäußerten Kritik von Krsto Lazarević, welcher diese in einem ausführlichen Twitter-Thread niedergeschrieben hat. Nicht weniger ausführlich antwortet das Magazin Royale, ebenfalls in einem anstrengend zu lesenden Twitter-Thread, auf die Kritik. Teils steht es Aussage gegen Aussage, die Argumente verstricken sich in umstrittenen Details oder gehen aneinander vorbei.
Ausland
Besorgniserregendes berichtet CHRISTIAN MEIER in der FAZ über die bevorstehende Justizreform in Israel. Diese bestehe aus wesentlich zwei Änderungen: Die erste betreffe die Art, wie Richter ausgewählt werden. Dies geschehe in einem Komitee aus neun Mitgliedern. Da diese nur noch aus den Staatsgewalten stammen sollen und künftig für die Wahl eine Mehrheit von fünf statt sieben Stimmen reichen soll, verfüge „die Regierungskoalition stets über eine Mehrheit in dem Gremium und hätte damit künftig alle Ernennungen von Richtern in der Hand“. Die zweite wesentliche Änderung betrifft die judikative Kontrolle von Gesetzen. Wenn das oberste israelische Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, solle in Zukunft „die Knesset [Einkammer-Parlament Israels, Anm. d. R.] in den allermeisten Fällen mit der absoluten Mehrheit die Richterentscheidung überstimmen können“.
Das muss man erstmal wirken lassen, würde es, auf Deutschland grob übertragen, doch bedeuten, der Bundestag könnte sich über erfolgreiche Verfassungsbeschwerden des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzen. Der Begriff Verfassungskrise wäre wohl angebracht. Da wundert es nicht, dass die israelische Zivilgesellschaft machtvoll demonstriert.
In seinen regelmäßigen „Briefen aus Istanbul“ in der FAZ berichtet BÜLANT MUMAY über die Entwicklungen in der Türkei. Sein letzter Brief mit dem Titel „Das System bricht zusammen“ schildert den zunehmenden Unwillen der Bürger, das kolossale Versagen der Regierung zu akzeptieren. Denn Versäumnisse der Regierung hätten dazu beigetragen, so MUMAY, dass bei dem fürchterlichen Erdbeben vom 6. Februar mehr als 50.000 Menschen starben. Das ist schon schlimm genug, doch anstatt tatkräftige Unterstützung nach der Katastrophe schicke die Regierung Erdoğan Beleidigungen und Drohungen gegen die Protestierenden. So zitiert MUMAY den Chef des ultranationalistischen Bündnispartners MHP, Devlet Bahçeli, mit den Worten: „Wir notieren das alles genau!“ Doch der Protest ist wohl allzu verständlich, schließlich sei die Versagensliste lang: Vom Zentralisieren aller Kompetenzen an einer unfähigen Stelle, über inkompetente Stellenbesetzungen mit religiösen Kadern, bis hin zu Korruption bei der Baugenehmigung erdbebenunsicherer Bauten, wäre alles dabei gewesen.
Technik und Wissenschaft
Das Lithium-Ionen-Akkus nicht die umweltfreundlichste Art der Energiespeicherung sind, weiß man eigentlich schon länger. Und obwohl die Ressourcen, die seltenen Erden, für solche zusehends knapper werden, wächst der Bedarf immer weiter. Die Autoindustrie scheint sich so in diese Form der Energiespeicherung eingeschossen zu haben, dass man sich doch fragt, ob nicht auch andere Möglichkeiten in Frage kämen.
Davon, was man alles finden kann, wenn man denn sucht, berichtet SILVIA BENETTI in der FAZ. So sei man nun, „bei einem Abfallprodukt der Papierherstellung“ fündig geworden. Denn in der Papierherstellung fällt das Biopolymer Lignin als Abfallprodukt an. Dieses könne man möglicherweise in den negativen Elektroden (Anoden) des Akkus einsetzen. Dies wäre, so BENETTI, ein geeigneter Ersatz dafür, nicht mehr hauptsächlich auf China als Herstellungsstandort setzen zu müssen. Dadurch würde sich die Ökobilanz der Akkus deutlich verbessern, denn China nutze „bei der Herstellung vor allem die Verstromung von Kohle als Energiequelle [..]. Aus diesem Grund kommt ein Bericht der britischen Unternehmensberatung Minviro zu dem Schluss, dass der CO2-Fußabdruck von chinesischem Grafit deutlich höher ausfällt als bislang angenommen.“ Doch BENETTI weist auch am Ende darauf hin, wie es um den Forschungstand steht, da es noch einiger Forschungsanstrengungen bedürfe, „bis konkurrenzfähige organische Stromquellen den Markt erobern“.
Zum Schluss
Ich empfehle diese Woche den Film „Close“ von Lukas Dhont (momentan im Kino zu sehen). Close handelt von den zwei Jugendfreunden Léo und Rémis, welche ihr ganzes idyllisches Landleben ihrer beiden Familien miteinander teilen. Doch als die beiden auf eine neue Schule kommen, verändert sich ihr sonst so enges Verhältnis zueinander schlagartig, als die beiden von Mitschülerinnen gefragt werden, ob sie ein Paar seien.
„Close“ lässt sich beim Erzählen Zeit. Doch das tut dem Film bei den vielen schönen Bildkompositionen, die es zu genießen gibt, auch sehr gut. Wer allerdings in der Stimmung für reines Feel-Good-Kino ist, sollte sich wegen der teils tieftraurigen Geschichte, welche von Google zurecht als (emotionales) Drama kategorisiert wird, lieber etwas anderes ansehen.